Eine alternativmedizinische Doppelblindstudie sorgte beim US-Herzkongress für eine Überraschung: Eine Chelat-Therapie half stabilen Postinfarkt-Patienten, ein bisschen zumindest. Vor allem Diabetiker profitierten.
Die Infusion von Komplexbildnern wie EDTA hat einen Stellenwert in der Therapie von Intoxikationen, v.a. mit Schwermetallen. Serielle Infusionen werden von Alternativmedizinern auch in der Herz-Kreislauf-Medizin angewendet. Die Theorie: Schwermetalle im Körper wie Blei und Kadmium begünstigen die Wirkung von freien Radikalen und somit LDL-Oxidation, Endotheldysfunktion und Atherosklerose. In den USA erfreut sich die Therapie zunehmender Beliebtheit.
Die TACT-Studie (Trial to Assess Chelation Therapy), unterstützt vom „National Center for Complementary and Alternative Medicine“, sowie dem „National Heart, Lung and Blood Institute“, hatte 1.708 Postinfarktpatienten doppelblind und randomisiert in einem 2Í2-Design mit Chelat-Therapie und hoch dosierten Vitaminen, nur einer der beiden Behandlungen, oder Plazebo behandelt. Verabreicht wurden in wöchentlichen Abständen bis zu 40 mindestens dreistündige Infusionen einer Chelat-Therapie mit zahlreichen Inhaltsstoffen, darunter 3g EDTA, Ascorbinsäure, B-Vitamine, Magnesiumchlorid, Procain, Natriumchlorid, Bicarbonat, 2500 Einheiten Heparin. Die Patienten waren stabile Postinfarktpatienten im Durchschnittsalter von 65 Jahren, zu über 80 Prozent revaskularisiert, aber überwiegend frei von KHK-Beschwerden und ohne Einschränkungen der Pumpfunktion. 31 Prozent waren Diabetiker. 76 Prozent erhielten wenigstens 30 der EDTA-Infusionen.
Nachdem über 55.000 Infusionen verabreicht und die Patienten im Mittel 55 Monate nachbeobachtet worden waren, zeigte sich eine signifikante Senkung des primären Endpunktes: 222 (26%) der Patienten in der ETDA-Gruppe sowie 261 (30%) in der Plazebogruppe hatten entweder einen Herzinfarkt, einen Insult, eine Koronar-Revaskularsation oder Krankenhaus-Aufnahme wegen Angina erlitten oder waren gestorben, berichtete Studienautor Dr. Gervasio A. Lamas, Mount Sinai Medical Center in Miami Beach. Dies entspricht einer relativen Risikoreduktion um 18 Prozent, der Unterschied war mit p=0,035 gerade unter dem Signifikanzniveau von p=0,036 in dieser Studie. Die beschwerliche Therapie war von den Patienten gut vertragen worden.
Bemerkenswert: 35 der 39 durch die Chelat-Therapie verhinderten Ergebnisse wurden in der Subgruppe der Diabetiker beobachtet. Hier schien die Therapie besonders wirksam (HR: 0,61, p=0,002). Patienten ohne Diabetes hatten hingegen keinen Vorteil. Bei Diabetikern lag die NNT über 5 Jahre bei 7, im Gesamtkollektiv mussten hingegen 18 Patienten 5 Jahre lang behandelt werden, um einen Endpunkt zu verhindern. Ein genauerer Blick auf die Endpunkt-Komponenten offenbarte, dass die Behandlung v.a. erneute Koronareingriffe verhütete. Der Einfluss auf alle anderen Endpunktkomponenten war gering. Lamas resümierte, dass nach Myokardinfarkt eine frühzeitig begonnene Chelat-Therapie klinische Komplikationen verhindert. Das überraschende Ergebnis müsse aber noch einmal bestätigt und der Wirkmechanismus aufgeklärt werden, bevor die Therapie generell empfohlen werden könne.
Deutliche Kritik an der Methodik der noch nicht publizierten Studie äußerte Prof. Dr. Paul W. Armstrong von der Universität Edmonton in Kanada. Er berichtete, dass die Studie in ihrem Verlauf mehrfach gestoppt, wieder aufgenommen, sowie im Design geändert wurde: Die Patientenzahl wurde reduziert, die Laufzeit verlängert, der Endpunkt modifiziert. Die Studienergebnisse generieren Hypothesen, aber keine Therapieempfehlungen, so Armstrong.
Auch die American Heart Association sah sich zu einer offiziellen Stellungnahme veranlasst: „Die verblüffenden und unerwarteten Ergebnisse sollten nicht so interpretiert werden, dass jetzt eine Indikation für die Chelat-Therapie in der klinischen Praxis vorliegt. Es sei noch viel mehr Information nötig, welche Bestandteile der komplexen Infusionsmixtur nützlich seien, und warum nur Diabetiker profitieren“, erklärte Dr. Elliot Antman, Brigham and Women’s Hospital, Boston, und Programmdirektor des AHA-Jahreskongresses 2012.
Quelle: Jahrestagung der American Heart Association (AHA), 3.–7. November 2012, Los Angeles
Text:
http://www.springermedizin.at/artikel/31654-provozierendes-studienergebnis